So fing alles an.
Ich war das Nesthäkchen in unserer Familie und bin mit insgesamt elf Kaninchen, ungezählten Teleskopaugen-Schleierschwänzen und immer zu wenig Büchern in einem Haus ohne jegliches Spukvorkommen aufwachsen. Schon als Kind habe ich mir ständig Geschichten ausgedacht. Oft ging es dabei um zwei Cousinen, die immer neue Wunderwesen entdeckten; manchmal auch um eine kleine gelbe Ente mit Fernweh oder das Schicksal einer Silbermöwe. Die Geschichten habe ich in Hefte geschrieben und selbst die Bilder und das Cover dazu gemalt. Aber ich habe auch mindestens genauso viel gelesen. Gruselgeschichten und Bücher über Tiere haben mich immer am meisten interessiert. Und das hat sich auch bis heute nicht geändert. Ich wusste schon ganz früh, dass ich Schriftstellerin werden will. Aber erst einmal habe ich Germanistik, Anglistik und Komparatistik in Münster und Amsterdam studiert und anschließend in verschiedenen Verlagen als Lektorin gearbeitet.
Wie die Polidoris entstanden sind
Als Kinderbuchlektorin habe ich viele spannende Buchprojekte mit tollen Autor:innen und Illustrator:innen umgesetzt. Kinderbücher zu „machen“, war und ist mein Traumberuf. Ich finde es erfüllend, in einem Team mit mehreren Menschen etwas ganz Neues zu erschaffen. Wenn alle die gleiche Vision haben, ist es jedes Mal faszinierend mitzuerleben, wie eine erste kleine Idee immer größer wird und schließlich Gestalt annimmt. Das macht großen Spaß!
Die Stimme der Autorin
Allerdings hatte ich auch immer diese kleine Stimme in meinem Hinterkopf, die sagte: Hör mir zu, ich hab auch was zu sagen! Das war die Stimme der Autorin in mir. Die Stimme hat mich immer angetrieben, meine eigenen Ideen sorgfältig aufzubewahren, damit ich eines Tages darauf zugreifen kann. Ich habe mir ein Notizbuch gekauft und alles darin gesammelt, was ich schön, witzig oder spannend fand, zum Beispiel komische Namen, kuriose Fakten und melodisch klingende Wörter oder Sätze. Obwohl ich nicht so gut darin bin, habe ich auch vieles gezeichnet. So ist nach und nach eine kleine Welt entstanden.
Von den Alpen bis zur Nordsee
Ich habe viele Jahre in München gelebt. Weil ich das Meer, genauer gesagt: die Nordsee immer sehr vermisst habe, bin ich mit meiner Familie jeden Sommer auf eine ostfriesische Insel gefahren. Manchmal, wenn die Sehnsucht ganz besonders groß war, auch noch zusätzlich im Herbst. Die bisweilen düstere, stürmische See mit ihren Gezeiten und die gemütliche ostfriesische Lebensart mit ihrer Teezeremonie, den Waffeln und den alten Backsteinhäusern – all das hat mich von Anfang in seinen Bann gezogen.
Ich dachte, wenn ich einmal selbst ein Buch schreibe, dann soll die Geschichte ein bisschen wie ein Herbsttag an der See sein: düster und stürmisch, aber auch wohlig und gemütlich.
Das Haus mit dem Walknochenzaun
Als ich zum ersten Mal auf der ostfriesischen Insel Borkum einen Zaun aus echten Walknochen gesehen habe, hatte ich plötzlich ein Bild im Kopf von einem leicht windschiefen, schon etwas verfallenen Spukhaus mit einem verwilderten Garten und einem Walknochenzaun drum herum, das auf einer Landzunge steht. Und kurze Zeit später tauchten plötzlich drei Kinder mit ihren Koffern vor diesem Haus auf: die Zwillinge Petronella und Pellegrino und ihre große Schwester Roberta. Die Polidoris zogen ein – in das windschiefe Haus am Meer und in meinen Kopf.
Dass es in dem Haus spuken würde, war mir von Anfang klar. Zum Glück hatte meine innere Autorinnenstimme mich so viele Jahre dazu verpflichtet, sorgfältig alle Ideen aufzuschreiben und -zuzeichnen. So musste ich nur mein Notizbuch aufschlagen und schon waren da allerhand seltsame Spukgestalten, die das Polidorium bald heimsuchten. Polidorium? Ja, so nennen die Polidoris ihr Zuhause liebevoll.
So ist mein erster Kinderroman Die Polidoris und der Pakt mit der Finsternis entstanden. Er erscheint im Coppenrath Verlag.
Obwohl ich als Lektorin schon an der Entstehung ganz vieler Bücher beteiligt war, kann ich manchmal kaum glauben, dass der Traum von meinem eigenen Buch nun wirklich wahr geworden ist.
Inzwischen wohne ich übrigens wieder etwas näher am Meer, zwar nicht auf einer Landzunge direkt an der Küste, wie die Polidoris. Aber wenn ich mich von Münster aus in den Zug setzen, bin ich in gut zwei Stunden an der Nordsee. Wer weiß, vielleicht schreibe ich ja mal ein Buch, das in den Bergen spielt? Ein neues Notizbuch habe ich schon.